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Bienenhaltung als Beitrag zum Klimaschutz? - Bienenforscher Jürgen Tautz im Interview

by Miriam von Hektar Nektar
Mittwoch, 14. April 2021, 00:00

Jürgen Tautz (im Bild oben, (c) Ingo Arndt), einer der renommiertesten Bienenforscher im deutschen Sprachraum, hat mit „Die Sprache der Biene“ sein jüngstes Werk vorgelegt. Für Laien und Profis unterhaltsam und verständlich aufbereitet, beleuchtet Jürgen Tautz in diesem Buch nicht nur die faszinierende Tanzsprache des kleinen Insekts, sondern befasst sich auch mit weiteren spannenden Phänomenen im Informationsaustausch zwischen Bienen. Wir haben zur Veröffentlichung die Chance genutzt, um mit Jürgen Tautz über das Insektensterben im Allgemeinen, über die Honigbienen und die Wildbienen zu sprechen. Eines der interessantesten Ergebnisse: Bienenvölker sind nicht nur die wichtigsten Bestäuber und damit für unser Obst und Gemüse verantwortlich, sondern tragen auch stark zur Bindung von CO2 und damit zum Klimaschutz bei.

HN: Herr Professor Tautz, wir sehen ein weltweites Insektensterben, in den letzten 30 Jahren ging die Insektenpopulation quer durch alle Ökosysteme um rund 75 Prozent zurück. Inwiefern ist die Honigbiene davon betroffen?

Jürgen Tautz: Der weltweite Artenschwund bei den Insekten ist dramatisch und reiht sich ein in den höchst bedrückenden und höchst gefährlichen Rückgang der Biodiversität. Unsere westliche Honigbiene ist davon nicht betroffen, wenn man die Anzahl der Bienenvölker zugrunde legt, die von Imkern betreut werden. Als Besonderheit unter den Insekten haben die Honigbienen eine starke, hoch motivierte und gut organisierte Lobby.


HN: Die Honigbiene ist von ihrem Imker, ihrer Imkerin abhängig. Was würde passieren, wenn alle Imker ihre Tätigkeit aufgäben?

Jürgen Tautz: Wenn alle Imker von jetzt auf gleich die Betreuung ihrer Bienenvölker aufgeben und die Bienen sich selbst überlassen würden, käme es an diesen Bienen zur natürlichen Selektion. Überleben würden nur diejenigen Bienen, deren genetische Ausstattung mit der neuen Situation klar kommt. Alle anderen Bienenvölker, die ansonsten nur mit Imkerhilfe überleben, würden verschwinden. In der Bestäubungsleistung würde sich schlagartig eine gefährliche Lücke auftun.

HN: Hat die Honigbiene in den letzten Jahren einen Teil der Bestäubung der immer mehr verschwindenden anderen Insekten übernommen/kompensiert? Bzw. Kann die Honigbiene hier helfend einspringen?

Jürgen Tautz: Die Honigbiene kann im Prinzip andere wichtige Bestäuberinsekten ersetzen, vorausgesetzt es handelt sich nicht um Blütenpflanzen, deren Blüten in ihrer Gestalt nicht für einen Honigbienenbesuch geeignet sind. Höchst wünschenswert ist jedoch ein anderes Ziel: Den Honigbienen gute Lebensbedingungen zu schaffen, von denen dann auch andere Insektenarten profitieren können.

HN: Trägt die lokale Bestäubung zum Klimaschutz / zur C02-Reduktion bei?

JT: Hierzu eine Überlegung, sicherlich zu weit gefasst, aus der aber im Prinzip erkennbar wird, dass es in der Bienenhaltung durchaus nicht vernachlässige positive Klimaeffekte geben kann. Tatsachen: Honigbienen besuchen Blüten und bestäuben sie dabei. Aus befruchteten Blüten entstehen Früchte und Samen. Aus Samen erwachsen komplette Pflanzen. Gut begründete Annahme: Honigbienen haben einen Flugradius von maximal 10 km, i.d.R. bei gutem Trachtangebot 2-5 km in jeder Richtung vom Stock. Daraus lässt sich großzügig eine Fläche von 100 qkm (Maximum wären 400 qkm) berechnen, die von einem Bienenvolk besucht wird. Annahme: Diese 100 qkm sind Grünland, bewachsen mit einjährigen Krautigen Pflanzen, die also jedes Jahr neu wachsen (in natürlichen Ökosystemen, oder abgeerntet werden und jährlich neu nachwachsen auf landwirtschaftlich benutztem Areal). Die 100 qkm entsprechen 10.000 ha.

Botanische Studien haben ergeben, dass auf einem ha Grünland 24 Tonnen CO2 gebunden werden, im gleichen Zeitraum 18 Tonnen CO2 frei werden, also 6 Tonnen gebunden bleiben. (Quelle: https://www.proplanta.de/Agrar-Lexikon/CO2-Bilanz+Land-+und+%ADForstwirtschaft_ll1259611455.html)

"60 Tonnen CO2-Bindung pro Bienenvolk und Jahr"

Werden diese 10.000 ha nur von EINEM Bienenvolk „bedient“, würden die Pflanzen, die auf dieser Fläche neu wachsen, alleine durch dieses EINE Bienenvolk in der Summe 60.000 Tonnen CO2 binden. Ein Bienenvolk bindet nach diesen Überlegungen pro Jahr 60.000 Tonnen CO2. Reduzieren wir, um zu einer realistischeren Szenerie zu gelangen, dieses Resultat um den Faktor 1000, bleiben noch immer 60 Tonnen CO2-Bindung pro Bienenvolk und Jahr.

HN: Wildbiene versus Honigbiene - vom Aussterben bedroht sind ja mittlerweile zahlreiche Wildbienenarten. Immer wieder heißt es, Honigbienen stünden mit Wildbienen in Futterkonkurrenz und würden zur weiteren Reduktion der Wildbienenbestände beitragen. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Jürgen Tautz: Zwei Tendenzen machen es erforderlich, sich mit der Frage zu befassen, ob und welcher Art Wechselwirkungen es zwischen Honigbienenvölkern und den solitären Wildbienen gibt. Zum einen steigt die statistisch erfasste Anzahl an Bienenvölkern (regional unterschiedlich), zum anderen wird für Solitärbienen ein Rückgang der Artenzahl dokumentiert. Die Autoren Mallinger, Gaines-Day und Gratton (Mallinger, R.E., Gaines-Day, H.R. & C.Gratton: Do managed bees have negative effects on wild bees?: A systemstic review of the literature. PlosOne 2017. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0189268) haben dazu 146 Studien ausgewertet und Ende 2017 in der Fachzeitschrift PlosOne veröffentlicht. Im Folgenden werden deren wesentlichen Aussagen zusammengefasst:

Die analysierten Publikationen wurden unter drei Gesichtspunkten ausgewertet.

1. Konkurrenz um Blüten und um Nistplätze.

2. Indirekte Effekte durch Veränderungen in Pflanzengesellschaften, z.B. durch die Ausbreitung eingeschleppter Arten zu Lasten einheimischer Arten.

3. Übertragung von Krankheiten und Parasiten.

Das Bild, das sich ergibt, lässt keine eindeutigen Antworten zu. Die Resultate der Studien, die sich mit einer möglichen Konkurrenz zwischen Honigbienenvölkern und Solitärbienen befassen, finden in etwa der Hälfte der Fälle negative Auswirkungen von Honigbienen, in der anderen Hälfte gar keine oder gemischte Folgen im Zusammenleben, je nach betrachteter Art der Wildbienen.  Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Betrachtung einer Verschiebung in der Zusammensetzung der Vegetation.

Klarer ist das Bild bei der Untersuchung von Übertragungsrisiken von Krankheiten und Parasiten von Honig- auf Wildbienen. Hier haben sich in 70% der Studien negative Auswirkungen auf Wildbienen gezeigt.

Die hohe Variabilität in den Resultaten der Studien erklärt sich aus den z.T. sehr unterschiedlichen Umständen der Untersuchungen. Zum einen ist „Wildbiene“ ein Sammelbegriff für einige hundert Arten, von denen viele sehr unterschiedliche Anforderungen an ihre Umwelt haben. Je nach betrachteter Wildbienenart können die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen. Auch die Beschaffenheit der Umgebung, in denen die Studien durchgeführt werden, hat erwartungsgemäß einen Einfluss auf die Resultate. So finden sich Studien, die für bestimmte Bedingungen positive Auswirkungen von der Anwesenheit von Honigbienen auf Wildbienen finden.

Es gibt allerdings eine Erkenntnis, die sich durchgehend zeigt: Honigbienenrassen und Wildbienen kommen in den Regionen, für die die betrachtete Rasse heimisch ist, besser miteinander aus, als es bei eingeführten Rassen der Fall ist. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die Praxis?

Um einen negativen Einfluss von be-imkerten Honigbienen auf Wildbienen zu verhindern oder klein zu halten, empfehlen die Autoren dort, wo es machbar ist, einheimische Bienenrassen zu nutzen, auf eine für die entsprechende Region sinnvolle Dichte an Bienenvölkern zu achten und bei den be-imkerten Bienenvölkern Krankheiten und Parasiten sorgfältig zu bekämpfen.

"Einheimische Bienenrassen nutzen"

Wenn man nicht nur Honigbienen hält, sondern auch dafür sorgt, dass die Honigbienen eine passende Umwelt vorfinden, werden alle profitieren, auch die Wildbienen. Die Natur und der Menschen brauchen beide als wichtige Bestäuberinsekten!  (Literatur: Mallinger, R.E., Gaines-Day, H.R. & C.Gratton (2017): Do managed bees have negative effects on wild bees?: A systemstic review of the literature. PlosOne 2017. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0189268)


HN: Hektar Nektar ist 2017 gegründet worden und hat den ersten Online-Marktplatz für Bienenhandel ins Leben gerufen. Damit soll den Imkerinnen und Imkern ihre Tätigkeit erleichtert und die Imkerei gefördert werden. 2018 wurde dann die Bienenschutzinitiative PROJEKT 2028 gestartet: Wir wollen zusammen mit Unternehmen, Privatpersonen und Imker-/innen die Bienenpopulation bis 2028 um zehn Prozent steigern. Dabei setzen wir auf erfahrene Imker, die wir mit einem Bienenvolk inkl. Beute ausstatten, die diese dann im Laufe der Jahre immer wieder vermehren. Zudem müssen unsere Imker auch nachweislich Maßnahmen für den Wildbienenschutz ergreifen. Ein ganz wichtiger Punkt unserer Mission ist auch die Bewusstseinsbildung. Mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit und über unsere Multiplikatoren (die Unternehmen, die bei uns engagierten Privatpersonen und unsere Imker) wollen wir einer breiten Masse näherbringen, wie dramatisch das Insektensterben ist und was man dagegen tun kann. Wie schätzen Sie unsere Initiative ein?

Jürgen Tautz: Ihre Initiative halte ich für sehr wichtig. Unter Ihren Ansätzen ist gerade auch der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit nicht hoch genug einzuschätzen. Menschen, denen all das klar ist, welche Ziel Sie verfolgen und warum Sie das tun, müssen nicht gewonnen und überzeugt werden. Es geht um all die anderen, die erreicht werden sollten. Es muss klar werden: Helfen wir den Bienen, helfen wir zugleich einem weitgespannten hochkomplexen Netzwerk des Lebens auf unserer Erde und letztlich auch uns selbst.

Über Jürgen Tautz: Prof. Dr. Jürgen Tautz ist Bienenexperte, Soziobiologe, Verhaltensforscher und Professor i. R. am Biozentrum der Universität Würzburg. Dort ist er auch Vorsitzender des Bienenforschung Würzburg e. V.sowie Leiter des interdisziplinären Projektes HOneyBee Online Studies (HOBOS) und dessen Folgeprojektes we4bee. Er ist Bestsellerautor und mehrfach ausgezeichnet für die gelungene Vermittlung von Wissenschaft an eine breite Öffentlichkeit, u.a. von der DFG. Bei Knesebeck erschien von ihm zuletzt der Band „Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner“ (2020) mit Fotografien von Ingo Arndt.

Interview mit Jürgen Tautz über sein neues Buch in der Mainpost: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/bienenforscher-tautz-ueber-tanzsprache-schulbuecher-umschreiben-art-10580456

Nähere Infos zur Publikation und Bestellmöglichkeit: https://www.knesebeck-verlag.de/die_sprache_der_bienen/t-1/964

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