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Auf Spurensuche: Gefährden Honigbienen die Wildbienenpopulationen?

by Jola von Hektar Nektar
Mittwoch, 02. August 2023, 00:00

Es kommt immer wieder vor, dass der Schutz der Honigbiene als nicht oder weniger wichtig und in Konkurrenz zum Schutz der Wildbiene angesehen wird. Die Honigbiene als gezüchtetes „Nutztier”, das vom Menschen gepflegt und vermehrt wird, ist zwar gegenwärtig nicht vom Aussterben bedroht, jedoch auf die Arbeit von Imker*innen angewiesen, um überhaupt zu überleben. Würde man Honigbienen sich selbst überlassen, käme es zur natürlichen Selektion. Nur die Bienen, die sich rasch genug an die veränderte Situation anpassen können, überleben. 

Imker*innen sorgen mit dem nötigen Fachwissen und gezielten Handgriffen, die an den natürlichen Rhythmus und Zyklus der Bienen angepasst sind, für deren Fortbestand und Vermehrung. Doch nur ein bis drei Prozent aller Imker*innen sind Erwerbsimker*innen. Zwar ist die Imkerei in den letzten Jahren unter jungen Menschen immer populärer geworden. Die meisten halten jedoch deutlich weniger Bienenvölker als die Vorgängergenerationen. Gab es im Jahr 1951 noch mehr als 2 Millionen Bienenvölker in Deutschland, so lag die Zahl im Jahr 2022 laut Deutschem Imkerbund bei unter einer Million. Daraus ergibt sich: Die Population der Honigbiene würde drastisch zurückgehen, wenn Jungimker*innen ihre Tätigkeit bald wieder aufgeben – mit dramatischen Folgen für die Lebensmittelversorgung und das Ökosystem. Und hier besteht bereits ein Grund zur Sorge: Hektar Nektar erhielt 2023 immer wieder Rückmeldungen von Imker*innen, die die Imkerei ganz aufgeben oder massiv einschränken - denn aufgrund des alarmierenden Honigpreisverfalls können sie sich diese Tätigkeit schlicht nicht mehr leisten. Hinzu kommt, dass Honigbienen und ihre Imker*innen machtlos sind, wenn der Klimawandel gnadenlos zuschlägt – wie es im diesjährigen Mai der Fall war

Wildbienen, von denen es in Deutschland rund 550 und in Österreich rund 700 Arten gibt, kommen ohne imkerliche Hilfe aus, sind jedoch darauf angewiesen, dass der Mensch Maßnahmen setzt, um gute Lebensbedingungen zu gewährleisten (u.a. Verzicht auf Pestizide, weniger Bodenversiegelungen, Schaffung einer vielfältigen Landschaft). Beide Arten spielen für Natur und Mensch als wichtige Bestäuberinnen eine zentrale Rolle. Das Zusammenspiel aller Bienenarten führt zur Gesamtbestäubung von 80 Prozent aller Nutz- und Wildpflanzen. So stellt sich die Frage, wer „schützenswerter“ ist, nicht, wenn es um die Bestäubungsleistung geht.

Das erklärte Ziel von PROJEKT 2028 ist daher nicht nur die messbare Steigerung der Bienenpopulation. Sondern auch die Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft für die Bedeutung von Insekten für unser Ökosystem. Die Honigbiene steht dabei stellvertretend für ihre Artgenossen im Mittelpunkt. In ihrem Fahrwasser – oder besser in ihrem Windschatten – erhalten folglich auch die Wildbienen mehr Beachtung. Generell gilt: Werden für Honigbienen gute Lebensbedingungen geschaffen, profitieren auch Wildbienen und andere Insektenarten davon.

Was hat es mit der Diskussion um eine „Konkurrenz“ auf sich? 

Mehr als 23.000 Ergebnisse (in deutscher Sprache) spuckt die beliebteste Suchmaschine der Welt innerhalb von Millisekunden zu dem Thema aus. Darunter befinden sich, neben Artikeln, Blogbeiträgen und Diskussionen in diversen Foren, auch Studien, die gerne als Quelle für die vermeintliche Konkurrenz herangezogen werden – was im Prinzip nichts Schlechtes ist. Aber – wie so oft – gestaltet sich die Situation weitaus komplexer, als es die Schnelllebigkeit unserer Mediengesellschaft und die ubiquitäre Informationsflut auf sämtlichen Kanälen und Devices zulassen. Auch unter Wissenschaftler*innen ist das Thema nicht unumstritten. 

In einer entsprechenden Übersichtsstudie aus dem Jahr 2023 haben die österreichischen Forscher*innen Kristina Gratzer und Robert Brodschneider zahlreiche Studien unter die Lupe genommen und aufgezeigt, welche Schwächen die Studien oder vielmehr die Interpretationen solcher zum Teil aufweisen. Zum einen stammen die meisten Erhebungen aus Amerika oder anderen europäischen Ländern, im deutschsprachigen Raum gibt es vergleichsweise wenige. Dass hier andere Lebensbedingungen herrschen und auch ganz andere Wildbienenarten vorkommen, wird oftmals beim Zitieren der Studien außer Acht gelassen. Des Weiteren wird oft nicht differenziert zwischen Kausalität und Korrelation. Das bedeutet, dass die reine Anzahl von Honigbienenvölkern bei gleichzeitiger Abwesenheit von Wildbienen nicht ausreicht, um daraus eine Konkurrenz schlussfolgern zu können. Viele Untersuchungen basieren auf Modellierungen oder finden unter Laborbedingungen statt – was gut für die Grundlagenforschung ist, aber noch immer keinen Beleg für eine Konkurrenz im Feld liefert. Dann gibt es wiederum Studien, die allein die Honigbiene als Faktor bei der Entwicklung der Wildbienenfauna heranziehen – zahlreiche andere Faktoren werden beim Heranziehen dieser Erhebungen meistens nicht berücksichtigt. Solche wären etwa: der Einsatz von Pestiziden, das Auftreten von Krankheiten, der Verlust von Lebensräumen und schließlich auch die Klimaerwärmung. Alpine Hummelarten werden aufgrund der Erwärmung etwa in höhere Regionen verdrängt, ein früherer Blühbeginn führt zu einer Fehlanpassung zwischen Pflanzen und Bienen.

Was viele Studien gemeinsam haben, ist, dass die Landschaftsqualität – mit genügend Blüten und Nistplätzen – ein entscheidender Faktor für das Überleben von Wildbienen ist. Denn wo es floral reiche Umgebungen gibt, teilen sich Honigbiene und Wildbienen die Ressourcen quasi auf oder finden sogar einen Weg der Zusammenarbeit, wie eine Forschungsgruppe der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und vom Landesverband Gartenbau Thüringen in einer im Juli 2023 veröffentlichten Studie herausfand. 

Für die wissenschaftliche Untersuchung wurden Kirschplantagen in Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtet, und zwar:

● solche, auf denen nur Honigbienen angesiedelt wurden,

● solche, auf denen nur die wilde Mauerbiene als Bestäuberin eingesetzt wurde, 

● und schließlich solche, auf denen beide Bienenarten eingesetzt wurden. 

Das Ergebnis ist so erstaunlich wie faszinierend: Plantagen, auf denen beide Arten ihrer Bestäubungsarbeit nachgehen konnten, haben 70 Prozent der Blüten Kirschen getragen. Auf Plantagen, die jeweils nur eine der Arten beheimateten, lag diese Rate bei lediglich 20 Prozent.

Synergie statt Konkurrenz – wenn es der Mensch zulässt 

Auch der renommierte Insektenforscher Prof. Dr. Jürgen Tautz betont stets, dass die beiden Arten sich vielmehr ergänzen, als dass sie Konkurrentinnen wären. Die effizient arbeitenden Honigbienen fliegen etwa erst dann in Scharen zu einer Nahrungsquelle, wenn diese zuvor von einer Kundschafterin als lohnenswert beziehungsweise besonders ertragreich identifiziert wurde. Damit nehmen sie solitär lebenden Bienen keinesfalls die Nahrung weg.

Wichtig ist laut Tautz vor allem, dass einheimische Bienenrassen eingesetzt werden, eine sinnvolle Dichte an Völkern mitbedacht wird und dass bei beimkerten Völkern Krankheiten und Parasiten sorgfältig bekämpft werden. 

Um das Verhältnis zwischen Honigbienen und Wildbienen zu unterstützen, ist es wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, die beiden Gruppen zugutekommen. Das Schaffen von blütenreichen Lebensräumen, das Anlegen von bienenfreundlichen Gärten und das Reduzieren des Einsatzes von Pestiziden sind wichtige Schritte, um die Lebensbedingungen für beide Bienenarten zu verbessern. Freilich braucht es vor allem aber Maßnahmen auf „höherer Ebene”: Entsiegelung, Renaturierung und eine effektive Eindämmung des Flächenfraßes. Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) gibt Grund zur Hoffnung: Demnach sollen bis zum Jahr 2050 alle geschädigten Ökosysteme entweder vollständig wiederhergestellt sein oder sich aktiv in einem Wiederherstellungsprozess befinden. Entscheidend ist jedoch, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mitziehen und darüber hinaus eigeninitiativ tätig werden.



Bildcredit: ©pixabay

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